Diskussionsbeiträge
der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 53, 2004
Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 2.1.2001, S.4
Verhandlungen
bringen Annäherung von Serben und Albanern
Abbau von Kontrollposten als Anzeichen für Entspannung in Südserbien
/ Entführte Serben freigelassen / Ansätze für eine politische
Lösung / Von Matthias Rüb
BUDAPEST,
1. Januar. Das könnte von hoher Symbolkraft sein: Serben und Albaner räumen
befestigte Kontrollstellen. So geschehen am Samstag an der Straße von
der südserbischen Stadt Bujanovac nach Veliki Trnovac, einem fast ausschließlich
von Albanern besiedelten Vorort von Bujanovac, den die Albaner Trnofc i Madhe
nennen. Die Kontrollstellen, an denen alle Fahrzeuge und Personen kontrolliert
wurden, befanden sich nur wenige hundert Meter voneinander entfernt und zudem
an einem neuralgischen Punkt. Zwischen Bujanovac und Trnovac verläuft die
Linie, jenseits deren die serbische Polizei seit mehr als vier Wochen nicht
mehr präsent ist. In Sichtweite standen sich schwerbewaffnete serbische
Sonderpolizisten und albanische Kämpfer gegenüber und richteten drohend
ihre Waffen aufeinander.
Ende November hatten albanische Bewaffnete in der
Gegend vier serbische Polizisten zuerst verschleppt, dann offenbar gefoltert
und schließlich ermordet. Nach der Bluttat zog sich die serbische Polizei
aus Trnovac und einigen anderen Ortschaften in der fünf Kilometer breiten
entmilitarisierten Pufferzone an der Verwaltungsgrenze zum Kosovo zurück.
Die Sicherheitszone, in der sich die jugoslawische Armee nicht und die serbische
Polizei nur mit leichtbewaffneten Beamten aufhalten darf, war nach dem Ende
des Luftkrieges der Nato um das Kosovo eingerichtet worden, um einen möglichen
Aufmarsch der serbisch-jugoslawischen Streitkräfte und damit eine Gefährdung
der Kfor zu vermeiden. Seit den Morden an den serbischen Polizisten gelten die
Dörfer vielen Albanern in der Region als "befreites Gebiet",
denn es war eine Anfang des Jahres 2000 erstmals aufgetretene albanische "Befreiungsarmee
Presevo, Medvedja und Bujanovac" (UÇPMB), die sich zu diesem Anschlag
und anderen zuvor bekannt hatte. Für die serbischen Behörden handelte
es sich dabei um Überfälle "albanischer Terroristen". Das
von ihnen besetzte Territorium galt es früher oder später wieder unter
Belgrader Kontrolle zu bringen - notfalls gewaltsam.
Zum Jahresende hin schien sich der Konflikt bedrohlich
zuzuspitzen. Die serbische Polizei und die jugoslawische Armee sprachen von
einer unmittelbar bevorstehenden Großoffensive der UÇPMB. Gleich
mehrfach hatte die Regierung in Belgrad vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
gefordert, die UN und die Kfor sollten umgehend für den Rückzug der
"albanischen Terroristen" aus der Sicherheitszone sorgen. Andernfalls
werde man das Problem selbst unter Einsatz aller international gebräuchlichen
Mittel im Kampf gegen den Terrorismus lösen. Einheiten der serbischen Sonderpolizei
und auch der jugoslawischen Armee wurden am Rande der Sicherheitszone zusammengezogen,
Schützengräben wurden ausgehoben und mit mannshoch aufgetürmten
Sandsäcken befestigte Kontrollstellen eingerichtet.
Daß nun beide Seiten
eine ihrer Kontrollstellen räumten, ist Ergebnis zahlreicher Gespräche
zwischen der serbischen Regierung und Vertretern der Albaner. Dabei trat die
Kfor als Vermittlerin auf. Zuletzt traf sich am Donnerstag der stellvertretende
serbische Ministerpräsident Nebojsa Covic in Trnovac mit Vertretern des
politischen Rates der UÇPMB. Dabei wurde außer der Räumung
der Kontrollstellen auch die Entsendung von serbischen Verkehrspolizisten statt
- wie früher - von schwerbewaffneten Sonderpolizisten in die mehrheitlich
von Albanern besiedelten Gebiete vereinbart. Am Sonntag reiste der designierte
serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic in die Krisenregion und sagte,
Belgrad setze sich für eine friedliche Lösung des Konflikts ein. Djindjic
versprach den 60 000 bis 75 000 in der Region lebenden ethnischen Albanern Gleichberechtigung
und Minderheitenrechte, sofern sie die Gesetze achteten.
Trotz der jüngsten Drohgebärden
scheint sich in Belgrad die Erkenntnis durchzusetzen, daß es sich bei
dem Konflikt im Presevo-Tal nicht nur um ein Terrorismusproblem handelt, sondern
daß ein Ende der Diskriminierung der albanischen Minderheit erreicht werden
muß. Auch der neue jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica hat
sich mehrfach für eine friedliche Lösung des Konflikts ausgesprochen.
Tatsächlich ist schon
ein Gesprächsprozeß in Gang gekommen, der Hoffnungen auf eine politische
Lösung des Konflikts nährt. Das war während der Herrschaft
des Diktators Slobodan Milosevic anders: Seinerzeit führte Belgrad einen
Propagandamonolog über die Albaner statt einen Dialog mit ihnen. Mit dem
Abbau der Kontrollstellen von Trnovac wurde auch die wichtige Verbindungsstraße
von Bujanovac nach Gnjilane im Kosovo wieder frei. Doch am Sonntag waren nahe
der Verwaltungsgrenze zum Kosovo sechs Serben offenbar von Kämpfern der
UÇPMB entführt worden. Erst nach Vermittlungen der Kfor konnte ihre
Freilassung erreicht werden, wie Covic der Belgrader Nachrichtenagentur Beta
mitteilte. Die Rebellen hatten den Angaben zufolge die Freilassung von jeweils
20 Kosovo-Albanern für einen Verschleppten gefordert. Seit dem Ende des
Kosovo-Krieges im Juni 1999 sitzen noch immer mehrere hundert aus dem Kosovo
verschleppte albanische Männer in serbischen Gefängnissen.
Wiederum vermittelt die Kfor in dem Konflikt. Problematisch
ist, daß die politische Führung der UÇPMB offenbar nicht alle
ihre Kämpfer kontrolliert und daß deshalb die serbische Seite nicht
weiß, was Vereinbarungen mit der Gruppierung wert sind. Einen von Teilen
der UÇPMB geforderten Anschluß der albanischen Gebiete in Südserbien
an das benachbarte Kosovo werden weder Belgrad noch die Staatengemeinschaft
akzeptieren. Verhandlungen über die Rechte der Albaner im Presevo-Tal werden
sich deshalb auf Modelle einer kulturellen und politischen Autonomie beschränken.
Trotz einiger Rückschläge
scheint der Weg zu einer politischen Lösung nicht verbaut. Dabei
könnte eine verstärkte internationale Präsenz hilfreich sein
- etwa durch Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (OSZE) oder der EU, wie Nato-Generalsekretär Lord George Robertson
der Führung in Belgrad jüngst vorgeschlagen hat. Damit wäre der
Forderung der Albaner nach internationaler Vermittlung Genüge getan - und
Belgrad könnte Europa einen weiteren Schritt näher kommen.
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