Diskussionsbeiträge
der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 53, 2004
Tageszeitung, 19.12.2000,
S. 9
"Alles andere ist
besser als Krieg"
Die Gewalt zwischen Serben und Albanern in Südserbien eskaliert. Präsident
Kotunica appelliert an beide Seiten
VRANJE
taz Jovans Blick auf die Berge ist sorgenvoll. Denn die im Tal gelegene Straße
von Presevo nach Bujanovac ist von oben einzusehen. Dort
oben, sagt er, "sitzen sie", die "Terroristen" der UCPMB,
der albanischen Befreiungsorganisation von Presevo, Medvedja und Bujanovac.
Dem 23-Jährigen ist unwohl. Seit
sich Überfälle auf serbische Polizisten häufen, haben auch die
serbischen Zivilisten Angst. Vor vier Wochen wurden vier Polizisten getötet,
die Zahl der Verletzten geht in die Dutzende. Minen wurden gelegt, Häuser
beschädigt. Seit Beginn des Konfliktes 1999 starben auch 6 Zivilisten.
Jovan
stammt aus der 40 Kilometer entfernten Stadt Vranje. Wie in Presevo und Bujanovac
haben sich auch dort viele serbische Flüchtlinge aus dem Kosovo angesiedelt.
Sie sind die treibende Kraft einer Bewegung, die vom Staat Aktionen fordert.
Tausende Bewohner und Flüchtlinge haben in den letzten Tagen gegen die
"albanischen Terroristen" demonstriert und Armee und Polizei aufgefordert,
"die da oben auszuräuchern".
Doch
die albanischen Kämpfer beeindrucken diese Drohungen nicht. In den Bergen
entlang der Grenze zum Kosovo sind die albanischen Dörfer fest in der Hand
der UCPMB. Dies ermöglichte das Abkommen von Kumanovo vom Juni 1999,
das die Modalitäten des Einrückens der Nato-Truppen in das Kosovo
festschreibt und eine demilitarisierte Zone entstehen ließ. Die jugoslawische
Armee musste sich aus einem 5 Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze
zum Kosovo zurückziehen. Hier ist es nur der serbischen Polizei erlaubt,
"Ordnungsfunktionen" wahrzunehmen. Der Konflikt
eskalierte, als die Polizei im Frühjahr einige albanische Zivilisten erschoss
und militante Serben Albaner in Presevo und Bujanovac angriffen.
Tausende Albaner flohen, serbische Flüchtlinge bezogen die leeren Häuser.
Daraufhin zeigten sich militante Albaner mit dem Aufnäher
der UCPMB in den Dörfern. Seither werden dort Polizeistreifen angegriffen.
Jetzt traut sich serbische Polizei nur noch in Randgebiete der Zone. Und der
Armee sind die Hände gebunden.
Das
macht die serbischen Aktivisten wütend. Sie werfen der Regierung unter
Vojislav Kotunica Tatenlosigkeit vor. Um Kotunicas Kommen zu erzwingen,
wurden Straßen blockiert. Immer noch stehen dort kleine Gruppen, meist
junge Männer. "Als Ausländer solltest du nicht mit denen sprechen",
sagt Jovan. Selbst serbische Journalisten aus Belgrad
wurden am vergangenen Donnerstag angegriffen, weil sie "schlecht berichteten".
Der
jugoslawische Präsident bezog am Wochenende eine klare Position.
Er sprach bei seinem Besuch von den Ängsten beider Seiten und insistierte
zum Missfallen der Radikalen, dass der Konflikt friedlich gelöst werden
müsse. Er forderte die KFOR im Kosovo auf, den Nachschub an Waffen
für die UCPBM zu unterbinden. Eine Kommission zu Detailfragen werde gebildet.
"Wir müssen verhandeln, nicht Krieg führen", erklärte
er. Am heutigen Dienstag werde das Problem im Weltsicherheitsrat behandelt.
Wenn sich die Lage nicht beruhige, müsse Serbien über den Einsatz
von Militär nachdenken. Dass die Eskalation den Radikalen gelegen kommt,
ist eine Vermutung, die nicht nur Kotunica ausgedrückt hat. Vom Konflikt
profitierten nur Miloevic und der im Kosovo bei den Wahlen unterlegene
Hashim Thaci, ist die durchgängige Meinung der demokratischen Kräfte
Serbiens und Kosovos. Liljana Nestorovic, Sprecherin der serbischen Sozialdemokraten,
meint, dass das geschlagene Regime nicht aufgibt und versucht, ein Klima der
Gewalt zu schaffen. In dieser Atmosphäre könne es versuchen, Wählerstimmen
zu gewinnen.
Jovan
weiß dazu wenig zu sagen. Er ist froh, dass er wieder nach Vranje fährt.
"Alles andere ist besser als Krieg", sagt er, "da verlieren nur
die kleinen Leute."
ERICH RATHFELDER
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