Diskussionsbeiträge
der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 53, 2004
Frankfurter Rundschau,
2.4.2001, S.3
Der Prozess
Am
Ende war Slobodan Milosevics Großserbien auf ein ummauertes Villengrundstück
im Belgrader Stadtteil Dedinje zusammenschrumpft. Der erst serbische, dann jugoslawische
Präsident hatte im Gegensatz zu vielen seiner nationalistischen Anhänger
an den großserbischen Traum nie wirklich geglaubt. Doch der rein machtpolitische
Versuch, ihn zu verwirklichen, hat etwa eine Viertelmillion Menschen das Leben
gekostet, und Millionen wurden deshalb vertrieben. Die Serben waren nur die
letzten, die unter Milosevics Herrschaft gelitten haben. Ihr Leid ist heute
beträchtlich, aber im Vergleich zu den Opfern der zuvor mit Kriegen überzogenen
Nachbarn deutlich geringer. Mit dem Prozess gegen den korrupten Ex-Staatschef
und mutmaßlichen Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic beginnt nun für
Jugoslawien die Aufarbeitung einer verlorenen Dekade. Die Anforderungen, die
Jugoslawien auf der einen und das UN-Kriegsverbrecher-Tribunal auf der anderen
Seite an dieses Verfahren stellen, sind dabei unterschiedlicher, ja teilweise
widersprüchlicher Natur. Serbien muss seine Vergangenheit
bewältigen, die Welt fordert Gerechtigkeit. In der Theorie geht das eine
nicht ohne das andere. Aber die Wirklichkeit, selbst die juristische, ist da
viel komplizierter. Und dennoch besteht nach den Äußerungen der Regierung
Djindjic durchaus eine Chance, dass die Verurteilung von Slobodan Milosevic
seinen Opfern so etwas wie Gerechtigkeit bringt und zugleich Serbien eine ehrliche
Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Schuld. Dies
aber wird nur möglich sein, wenn alle Beteiligten in Belgrad, Den Haag,
Brüssel und Washington im juristischen Umgang mit dem Angeklagten Slobodan
Milosevic von ihren Maximalforderungen abweichen, Flexibilität zeigen und
nicht länger mit Boykott drohen. Milosevic wird zunächst wegen
Amtsmissbrauchs und Korruption vor ein Belgrader Gericht gestellt. Diese
Anklagen sind wichtig, weil die serbische Öffentlichkeit nur so erfahren
wird, in welchem Ausmaß die Familie Milosevic und deren kriminelle Kumpane
im serbischen Mafiastaat die Gesetze gebrochen,
die Bürger beraubt und der Gesellschaft geschadet haben. Jede demokratisch
gewählte Regierung muss das Recht haben, einen ehemaligen Präsidenten
für Verbrechen gegen den eigenen Staat vor Gericht zu stellen. Davor sollte
sich auch kein UN-Tribunal drängen. Wenn die
Regierung Djindjic trotz des Streits mit dem jugoslawischen Präsidenten
Kostunica und trotz der Widerstände in der Armee gegen die Festnahme "Slobo"
jetzt hinter Gitter gebracht hat, dann verdient sie dafür Anerkennung.
Und sie verdient Hilfen, die an eine weitere konstruktive Zusammenarbeit mit
UN-Chefanklägerin Carla Del Ponte gebunden sind. Aber auch die nicht-serbischen
Opfer der jugoslawischen beziehungsweise serbischen Politik und die Welt in
Gestalt der Vereinten Nationen haben ein Anrecht darauf, dass sich Milosevic
für seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten muss. Viel steht
hier auf dem Spiel: die Versöhnung an den Orten der Kriegsverbrechen und
auch der weitere Fortschritt des Internationalen Völkerrechts. Ohne
eine Verurteilung Milosevics und anderer Kriegsverbrecher für den Völkermord
in Bosnien und Kosovo kann es dort kein friedliches Zusammenleben zwischen den
im Krieg verfeindeten Bevölkerungsgruppen geben. Ohne
einen Prozess in Den Haag gegen den Hauptschuldigen - aber keineswegs Alleinschuldigen
- an vier Balkankriegen wäre das 1993 ad hoc eingesetzte Kriegsverbrechertribunal
für das ehemalige Jugoslawien nur eine Episode im Völkerrecht - und
keine Etappe auf dem mühsamen Weg von den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen
zum ständigen Internationalen Kriminalgerichtshof. Letzterer ist zwar beschlossene
Sache, aber angesichts der feindlichen Haltung der neuen US-Regierung noch lange
nicht politisch etabliert. Das UN- Tribunal braucht also Slobodan Milosevic.
Aber es braucht auch Zeit. Denn noch ist der jugoslawische Ex-Präsident
offiziell nur für seine Verbrechen in Kosovo angeklagt. Noch fehlt es dem
Tribunal in Den Haag an Beweismaterial, das die Befehlslinie vom Oberkommandierenden
Milosevic direkt zu den Handlangern des Völkermordes in Bosnien und Kosovo
aufzeigt und belegt. Die Beweislage stellt sich im Fall Milosevic noch nicht
so schlüssig dar, wie sich dies ein Ankläger wünschen muss, der
den Angeklagten zweifelsfrei überführen will. Hier ist das Tribunal
auf eine enge Zusammenarbeit mit der Regierung in Belgrad angewiesen. Im Idealfall
könnte ein Kompromiss wie folgt aussehen: Zunächst verantwortet sich
Slobodan Milosevic vor einem serbischen Gericht wegen der Verbrechen gegen seinen
Staat. Danach klagt ihn das UN-Tribunal nach seinen Regeln und vor seinen Richtern
wegen Völkermord und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit an, und zwar
in Belgrad. Keine ferne, abstrakte und leicht zu ignorierende "Siegerjustiz"
wäre dies, sondern ein "Schauprozess" im Sinne des internationalen
Völkerrechts. Er könnte auch den skeptischen Serben beweisen, dass
es nicht um Kollektivschuld, sondern allein um Gerechtigkeit geht.
Rolf Paasch
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