Diskussionsbeiträge
der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 53, 2004
Frankfurter Rundschau,
23.7.1949, S. 16
Der Prozeß gegen
Otto Abetz
Drahtbericht unseres Frankreich-Korrespondenten Kurt Kornicker
PARIS,
22. Juli. Der Prozeß gegen Otto A b e t z, den ehemaligen
Botschafter Hitler-Deutschlands in Paris zur Zeit der deutschen Besetzung, der
sich seit anderthalb Wochen vor einem französischen Militärgericht
im Pariser Justizpalast abspielt, wird von der hiesigen Oeffentlichkeit mit
außerordentlicher Spannung verfolgt. Die Pariser Zeitungen widmen den
Prozeßberichten einen weiten Raum. Einige Blätter, wie der "Figaro"
und "L´Aurore" haben sogar regelmäßig seitenlange
Auszüge aus dem stenographischen Protokoll veröffentlicht.
Die
französische Justiz hat, trotz allem, was während des Krieges in Frankreich
geschah und noch nicht vergessen, ist, alles Erdenkliche getan, um dem Angeklagten
jede Verteidigungsmöglichkeit zu geben und vom ersten Tage an abstrahiert,
daß hier auf der Anklagebank ein Deutscher, ein ehemaliger Gegner sitzt.
In dem Prozeß Abetz
gab es drei Höhepunkte: die Anklagerede Paul R e y n a u d s, der Abetz
des Mordversuches an ihm selbst und Léon B l u m bezichtigte und ihn
bis zu einem gewissen Grade für das Ende des früheren französischen
Innenministers Georges M a n d e l verantwortlich machte, ferner
die Aussage eines anderen Zeugen, Maurice N è g r e, eines einflußreichen
Mitgliedes der französischen Widerstandsbewegung, der als Geisel verhaftet
wurde und dessen Hinrichtung Abetz gefordert hatte. Nègre
erklärte, daß er trotzdem keinerlei Rachegefühl gegen Abetz
hege. Er und seine Freunde hätten sich gegen Abetz gewehrt. Sie hätten
das Pech gehabt, ihm in die Hände zu fallen und das sei alles, was er zu
diesem Thema zu sagen habe.
Besondere Erwähnung verdient
schließlich die Zeugenaussage des Generals von C
h o l t i t z, des einstigen Militärbefehlshabers von Groß-Paris,
der im August 1944 den Befehl erhielt, das bereits an vielen Stellen unterminierte
Paris in die Luft zu sprengen und dessen Widerstand gegen den Befehl zu verdanken
ist, daß Paris heute kein Ruinenmeer, sondern eine der schönsten
und besterhaltenen Großstädte Europas ist. Choltitz erklärte,
daß ihm Abetz dabei geholfen habe, und daß er seinerzeit in entscheidender
Stunde gegen die Nichtausführung des Befehls keinen Einspruch erhoben habe
Der
Anklagevertreter F l i c o t e a u x betonte, daß Abetz für eine
ganze Reihe von Kriegsverbrechen, die in Frankreich während seiner Botschafterzeit
begangen wurden, in vollem Umfang verantwortlich zu machen sei: 1. für
die systematische Plünderung von Kunstschätzen, 2. für die Judenverfolgungen
und Deportationen, 3. für die zwangsweise Verschleppung französischer
Arbeiter nach Deutschland, besonders in der Zeit vom Mai bis November 1942 und
4. für die Deportation einer Anzahl französischer Generäle, Präfekten
und hoher Verwaltungsbeamter. Außerdem müsse er für eine Reihe
vorbereitender Handlungen verantwortlich gemacht werden, die zur Verhaftung
und schließlich zu der Ermordung von Georges Mandel geführt hätten.
Der Anklagevertreter betonte, daß Abetz nicht in seiner Eigenschaft als
Deutscher, sondern als Kriegsverbrecher vor dem Militärgericht stehe und
nur als solcher verurteilt werden dürfte. Er beantragte mit Rücksicht
auf gewisse mildernde
Umstände die Mindeststrafe von 20 Jahren Zwangsarbeit.
Der
Verteidiger von Abetz, Floriot, erklärte in einer längeren Rede, daß
Abetz auch unter den schwierigsten Verhältnissen aufrichtig für eine
deutsch-französische Verständigung gearbeitet habe. Er habe sich keiner
Kriegsverbrechen schuldig gemacht und oft gegen die Anweisungen seiner vorgesetzten
Behörde gehandelt. Der Verteidiger betonte vor allem, daß die Gestapo
ihre Schreckensherrschaft in Frankreich völlig selbständig und unabhängig
von der deutschen Botschaft durchgeführt habe. Der Verteidiger gab seinem
Bedauern darüber Ausdruck, daß das Gericht nur über einen verhältnismäßig
kleinen Teil der Akten und einen winzigen Ausschnitt aus dem Telegrammwechsel
verfüge, der zwischen Abetz und R i b b e n t r o p geführt wurde.
Er plädierte auf Freispruch.
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