Diskussionsbeiträge
der Projedktgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 53, 2004
Tageszeitung, 3.4.2001,
Seite 11 (Kommentar)
MILOSEVIC MUSS IN BELGRAD
VERURTEILT WERDEN UND DORT EINSITZEN
Eine Chance für den Rechtsstaat Serbien
Slobodan Milosevic sitzt im Belgrader Zentralgefängnis und muss sich mit
der Anklage auseinander setzen, die ihm die Gründung eines verbrecherischen
Vereins vorwirft. Wenige haben sich die Mühe gemacht, die fünf eng
beschriebenen Seiten der Beschuldigung zu lesen und im serbischen Strafgesetzbuch
nachzuschlagen. Es geht, allerdings erst im letzten Absatz, um den Artikel 26
- und der untersagt die Gründung einer Organisation mit dem Ziel, Straftaten
zu begehen. Der Exdiktator ist demzufolge nicht nur wegen Amtsmissbrauch und
Korruption angeklagt, sondern wegen allem, was zurzeit seiner unbestrittenen
Führung verübt wurde. Damit ist er automatisch verantwortlich für
alle Taten des jugoslawischen Militärs und der serbischen paramilitärischen
Einheiten.
Leichtgewichtig sind die Anklagen also nicht, denen sich Milosevic in Serbien
gegenübergestellt sieht. Trotzdem fragt man sich, wohin er gehört:
vor das Bezirksgericht in Belgrad oder das Internationale Kriegsverbrechertribunal
in Den Haag? Diese Frage ist politisch. Die UNO, die das
Gericht in Den Haag eingerichtet hat, ist kein Überstaat, der auf klassischer
Gewaltenteilung beruht. Und jener Staat, der sich am stärksten für
diesen Gerichtshof einsetzt, die USA, würde nie erlauben, dass einer ihrer
Bürger einem solchen Tribunal ausgesetzt wird. Aber die USA sind die letzte
Supermacht; und schon die Supermacht der Antike, Rom, hat den Spruch geprägt:
Quod licet Iovi, non licet bovi (Was Jupiter darf, darf der Ochse noch lange
nicht). Was ist für die Demokratie in Serbien nützlicher:
ein Urteil in Den Haag oder in Belgrad?
Wird Milosevic von fremden Richtern in einer fremden Sprache
aufgrund einer undurchsichtigen Prozessordnung verurteilt anstatt aufgrund normal
verabschiedeter Strafgesetze, kann er als Märtyrer hochstilisiert werden.
Dann aber kann sich das neue Serbien, das sich der Welt als Rechtsstaat vorstellen
will, nicht als solches behaupten. Und der Mann wird nicht als der verurteilt,
der er war, nämlich ein machthungriger, aus Eigeninteresse handelnder,
feiger Massenmörder. Serbien sollte die Chance erhalten, mit seiner Vergangenheit
fertig zu werden. Das darf nichts damit zu tun haben, wie viele Millionen Dollar
Washington gewillt ist den Serben zu spenden.
Um bei der Politik zu bleiben: Natürlich muss man
auch die Forderungen der Weltgemeinschaft berücksichtigen, aber ein Kompromiss
ist vorstellbar: Erst ein Urteil in Belgrad, anschließend wird der Angeklagte
nach Den Haag überstellt, am Ende sitzt er die Gesamtstrafe im Heimatland
ab. Haftanstalten in Serbien sind übrigens sicher unbequemer als
die Appartements in Holland.
IVAN IVANJI
Publizist in Wien, war Übersetzer von Tito
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