conflict & communication online, Vol. 1, No. 1, 2002
www.cco.regener-online.de
ISSN 1618-0747

 

 

 

Wilhelm Kempf (Konstanz)
Die Konstruktion nationaler Identität in der österreichischen Presse seit ´45

Die in der vorliegenden Arbeit dargestellten Untersuchungsergebnisse sind Teil eines internationalen Forschungsprojektes, welches die Konstruktion nationaler Identitäten durch die Medien im Europa der Nachkriegszeit (1945-1996) untersucht. Mittels eines einheitlichen Untersuchungsdesigns wird die Mainstream-Presse in Österreich, Deutschland und der Schweiz sowie in Finnland und Estland inhaltsanalytisch ausgewertet. Die hier referierten Befunde beruhen auf der österreichischen, der deutschen und der schweizerischen Teilstudie, auf einer vergleichenden Analyse österreichischer, deutscher und schweizerischer Printmedien sowie auf einer Sekundäranalyse des in diesen Studien erhobenen Datenmaterials und auf einer vergleichenden Analyse xenophober vs. multikultureller Aspekte der Identitätskonstruktion in der österreichischen, schweizerischen, deutschen, finnischen und estnischen Presse.
Dabei geht es nicht so sehr darum, was österreichische Identität ist, als vielmehr darum, wie diese Identität von der österreichischen Mainstream-Presse konstruiert wurde. Im Zentrum der Untersuchung stehen die Themenkomplexe

  • Geschichtsinterpretationen und Patriotismus,

  • Demokratische Kultur,

  • Neutralität sowie

  • Ausländerfeindlichkeit und Rassismus.
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, wie die österreichische Presse jenem geistigen Klima Vorschub geleistet hat, welches es Haider ermöglichte, sich einer ursprünglich linken Systemkritik zu bedienen, um sie im Mix mit Fremdenhass und dem Appell an dumpfe Volksgemeinschaftsinstinkte in ein rechtspopulistisches Erfolgsrezept umzumünzen. Das Entstehen dieses Meinungsklimas ist vor allem auch dem Populismus der österreichischen Medien geschuldet, die über Jahrzehnte hinweg jegliche kritische Auseinandersetzung vermieden und im Wettbewerb um Auflagenzahlen stattdessen eine dumpfe Unzufriedenheit in der Bevölkerung bedient haben. In der Konstruktion nationaler Identität seitens der österreichischen Printmedien kommt eine symbiotische Entfremdung der Bevölkerung von ihrer Nation zum Ausdruck. Diese wird in der Vermeidung einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ebenso erkennbar wie im Fehlen eines demokratischen Diskurses um aktuelle politische Streitfragen, in der Harmonisierung von Konflikten durch Wegschauen ebenso wie in verniedlichender Selbstgerechtigkeit, die mit wachsender Unzufriedenheit gepaart ist. Nicht zuletzt auch die - mit dem beginnenden Aufstieg der FPÖ zusammenfallende - Zunahme offen ausländerfeindlicher Tendenzen in der österreichischen Presse gegen Ende des Untersuchungszeitraums zeigt deutlich, wie der Populismus der österreichischen Medien diesen Aufstieg gefördert hat.
Gleichwohl stellte die Regierungsbeteiligung der FPÖ eine Zäsur in der österreichischen Nachkriegsgeschichte dar, welche die Frage nach der nationalen Identität Österreichs völlig neu aufwirft. Das Prinzip Österreich, wie es sich nach 1945 als raffiniertes Selbsttäuschungsmanöver konstituierte und in der Wirklichkeit tatsächlich über weite Strecken erfolgreich durchgesetzt hat, ist obsolet geworden.

 

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Zum Autor: Wilhelm Kempf, seit 1977 Professor für Psychologische Methodenlehre und Leiter der Projektgruppe Friedensforschung an der Universität Konstanz. Schwerpunkte: Gewaltfreie Konfliktlösungen, Konstruktion sozialer Wirklichkeit durch die Massenmedien. Veröffentlichungen u.a.: "Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien" (gemeinsam mit Irena Schmidt-Regener, Münster: Lit, 1998); "Konflikt und Gewalt" (Münster: agenda, 2000); "Los Medios y la Cultura de Paz" (gemeinsam mit Sonia Gutiérrez Villalobos, Berlin: regener, 2001).

Adresse: Fachbereich Psychologie, Universität Konstanz (www.uni-konstanz.de), D-78457 Konstanz. e-mail: Wilhelm.Kempf@uni-konstanz.de