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Wilhelm Kempf (Konstanz)
Die Konstruktion nationaler Identität in der österreichischen
Presse seit ´45
Die in der vorliegenden
Arbeit dargestellten Untersuchungsergebnisse sind Teil eines internationalen
Forschungsprojektes, welches die Konstruktion nationaler Identitäten
durch die Medien im Europa der Nachkriegszeit (1945-1996) untersucht.
Mittels eines einheitlichen Untersuchungsdesigns wird die Mainstream-Presse
in Österreich, Deutschland und der Schweiz sowie in Finnland und
Estland inhaltsanalytisch ausgewertet. Die hier referierten Befunde beruhen
auf der österreichischen, der deutschen und der schweizerischen Teilstudie,
auf einer vergleichenden Analyse österreichischer, deutscher und
schweizerischer Printmedien sowie auf einer Sekundäranalyse des in
diesen Studien erhobenen Datenmaterials und auf einer vergleichenden Analyse
xenophober vs. multikultureller Aspekte der Identitätskonstruktion
in der österreichischen, schweizerischen, deutschen, finnischen und
estnischen Presse.
Dabei geht es nicht so sehr darum, was österreichische Identität
ist, als vielmehr darum, wie diese Identität von der österreichischen
Mainstream-Presse konstruiert wurde. Im Zentrum der Untersuchung stehen
die Themenkomplexe
- Geschichtsinterpretationen und Patriotismus,
- Demokratische Kultur,
- Neutralität sowie
- Ausländerfeindlichkeit und Rassismus.
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, wie die österreichische Presse
jenem geistigen Klima Vorschub geleistet hat, welches es Haider ermöglichte,
sich einer ursprünglich linken Systemkritik zu bedienen, um sie im
Mix mit Fremdenhass und dem Appell an dumpfe Volksgemeinschaftsinstinkte
in ein rechtspopulistisches Erfolgsrezept umzumünzen. Das Entstehen
dieses Meinungsklimas ist vor allem auch dem Populismus der österreichischen
Medien geschuldet, die über Jahrzehnte hinweg jegliche kritische
Auseinandersetzung vermieden und im Wettbewerb um Auflagenzahlen stattdessen
eine dumpfe Unzufriedenheit in der Bevölkerung bedient haben. In
der Konstruktion nationaler Identität seitens der österreichischen
Printmedien kommt eine symbiotische Entfremdung der Bevölkerung von
ihrer Nation zum Ausdruck. Diese wird in der Vermeidung einer ernsthaften
Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ebenso erkennbar wie im
Fehlen eines demokratischen Diskurses um aktuelle politische Streitfragen,
in der Harmonisierung von Konflikten durch Wegschauen ebenso wie in verniedlichender
Selbstgerechtigkeit, die mit wachsender Unzufriedenheit gepaart ist. Nicht
zuletzt auch die - mit dem beginnenden Aufstieg der FPÖ zusammenfallende
- Zunahme offen ausländerfeindlicher Tendenzen in der österreichischen
Presse gegen Ende des Untersuchungszeitraums zeigt deutlich, wie der Populismus
der österreichischen Medien diesen Aufstieg gefördert hat.
Gleichwohl stellte die Regierungsbeteiligung der FPÖ eine Zäsur
in der österreichischen Nachkriegsgeschichte dar, welche die Frage
nach der nationalen Identität Österreichs völlig neu aufwirft.
Das Prinzip Österreich, wie es sich nach 1945 als raffiniertes Selbsttäuschungsmanöver
konstituierte und in der Wirklichkeit tatsächlich über weite
Strecken erfolgreich durchgesetzt hat, ist obsolet geworden.
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Zum Autor: Wilhelm Kempf, seit 1977 Professor für Psychologische
Methodenlehre und Leiter der Projektgruppe Friedensforschung an der Universität
Konstanz. Schwerpunkte: Gewaltfreie Konfliktlösungen, Konstruktion
sozialer Wirklichkeit durch die Massenmedien. Veröffentlichungen u.a.:
"Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien" (gemeinsam mit
Irena Schmidt-Regener, Münster: Lit, 1998); "Konflikt und Gewalt"
(Münster: agenda, 2000); "Los Medios y la Cultura de Paz"
(gemeinsam mit Sonia Gutiérrez Villalobos, Berlin: regener, 2001).
Adresse: Fachbereich Psychologie, Universität Konstanz (www.uni-konstanz.de),
D-78457 Konstanz. e-mail: Wilhelm.Kempf@uni-konstanz.de
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