conflict & communication online, Vol. 1, No. 1, 2002
www.cco.regener-online.de
ISSN 1618-0747

 

 


Editorial

 

 

 

Mit dem Themenheft "Rechtspopulismus und nationale Identität" liegt die erste Ausgabe der Zeitschrift conflict & communication online vor, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Theorien, methodologische Ansätze und empirische Befunde der unterschiedlichsten Disziplinen, die Konflikt und/oder Kommunikation zum Forschungsgegenstand haben, zusammenzuführen und unter friedenswissenschaftlicher Perspektive miteinander zu integrieren.
Eine friedenswissenschaftliche Perspektive, die sich die Prävention und Reduktion von Gewalt mit gewaltfreien Mitteln zur Aufgabe macht, erfordert unseres Erachtens nicht nur angewandte Forschung zu aktuellen Konfliktfeldern, sondern zugleich auch die Etablierung einer transdisziplinären Grundlagenforschung, die zwar einerseits auf verallgemeinerbare Ergebnisse abzielt, welche über die konkreten Fallstudien hinausweisen, die aber andererseits nur anhand ihrer Rückkoppelung an die Praxis validiert werden kann. Das Spektrum der Themen, welche in conflict & communication online vertreten sein sollen, umfasst daher theoretische Beiträge ebenso wie empirische Studien und methodologische Erörterungen ebenso wie praktische Reflexionen. Es reicht von sozialpsychologischer Kleingruppenforschung bis zur Untersuchung inner- und zwischenstaatlicher Kriege, von der Analyse interpersonaler Kommunikation bis zur Massenkommunikationsforschung und von Konfliktmanagement bis hin zu Journalismus und den neuen Informationstechnologien.
Rechtspopulismus und nationale Identität werden im vorliegenden Heft anhand des Fallbeispiels "Österreich" thematisiert, das mit der Regierungsbeteiligung der FPÖ vor ca. 2 Jahren weltweit in die Schlagzeilen geraten war und scharfe Reaktionen der anderen EU-Länder auf sich gezogen hatte. Auch wenn sich die Beziehungen zwischen Österreich und seinen EU-Partnerländern inzwischen wieder normalisiert haben, ist die Regierungsbeteiligung der FPÖ angesichts der offen zur Schau getragenen NS-Sympathien ihres Vordenkers Jörg Haider und ihres offen ausländerfeindlichen Wahlkampfes bei den Nationalratswahlen im Oktober 1999 kein Thema, das sich einfach ad acta legen ließe. Im Gegenteil wirft gerade die Rückkehr zur europäischen Tagesordnung erst recht die Frage auf, auf welche Art von Europa wir denn eigentlich zusteuern. Dies umso mehr, als mit dem Wahlsieg Berlusconis mittlerweile auch in Italien eine rechtspopulistische Partei an die Macht gekommen ist und der Populismus einen Politikstil darstellt, die sich inzwischen weit über die Rechtsparteien hinaus auszubreiten begonnen hat und etwa in Großbritannien und Deutschland für die Regierungspolitik von Tony Blairs New Labour und Gerhard Schröders SPD charakteristisch zu werden scheint: Es steht also zu erwarten, dass uns das Thema noch öfter beschäftigen wird.
In dieser Ausgabe geht es zunächst um die FPÖ, und zwar aus dreierlei Perspektive: In Form einer politikwissenschaftlichen Analyse erklärt Anton Pelinka die Wahlerfolge der FPÖ aus den Rahmenbedingungen des österreichischen politischen Systems und der österreichischen Gesellschaft. Mittels einer inhaltsanalytischen Studie zur Konstruktion nationaler Identität in österreichischen Printmedien 1945-1995 zeigt Wilhelm Kempf, wie die österreichische Presse jenem geistigen Klima Vorschub geleistet hat, das den Aufstieg Haiders ermöglichte; und anhand einer Diskursanalyse von Erich Böhms Haider-Talkshow belegen Kerstin Stettner und Franz Januschek die These, wonach das Entlarven eines (Rechts-) Populisten selbst Bestandteil des populistischen Diskurses ist und nicht etwa ein Mittel zu dessen Bekämpfung.
Darüber hinaus enthält dieses Heft zwei freie Beiträge, die mit dem Themenschwerpunkt gleichwohl in mittelbarem Zusammenhang stehen: In einer Längsschnittsuntersuchung zum Verhältnis zwischen tradierten Unterschieden und neuen Abgrenzungsidentitäten in der berliner Sprachgemeinschaft der 90er studiert Irena Regener soziolinguistische Indikatoren ostwestdeutscher Identität(en), und Ilhan Kizilhan untersucht am Beispiel der Solidargruppen in Ostanatolien die Dynamik von Konflikten und Konfliktlösungen in patriarchalen Gemeinschaften.

Konstanz - Berlin - Toronto
im Januar 2002

Wilhelm Kempf


zurück zum Inhaltsverzeichnis