conflict & communication online, Vol. 2, No. 1, 2003
www.cco.regener-online.de
ISSN 1618-0747

 

 

 

Andreas Mattenschlager & Hubert Riedle
Medienkonstruktion nationaler Identitäten in Deutschland und der Schweiz, 1946-1995

In einem gemeinsamen Forschungsprojekt untersuchten drei Universitäten die Konstruktion nationaler Identitäten durch Mainstream-Printmedien in historischer Perspektive. Die inhaltsanalytische Arbeit verfolgte das Ziel, herauszufinden, auf welche Weise die Medien das Konzept der Nationalität aufbauten, und die geschichtlichen Veränderungen ausfindig zu machen, denen dieses Konzept zwischen 1945 und 1995 unterworfen war. Der Aufsatz stellt die Resultate der deutschen und der Schweizer Länderstudie vor.
In der deutschen Studie lag der Betrachtungsschwerpunkt auf den Veränderungsprozessen in der Konstruktion nationaler Identitäten, im Wechselspiel mit den massiven politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg. Mit den Jahren nach der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands (1945), der Teilung Deutschlands in BRD und DDR (1949) bis hin zur Wiedervereinigung Deutschlands (1990) liegen im Untersuchungszeitraum mehrere politische und gesellschaftliche Ereignisse, die massive Auswirkungen auf die nationale(n) Identität(en) vermuten lassen. Anhand der Berichterstattung über historische Aspekte sowie über die deutsch-deutschen Beziehungen werden speziell die Unterschiede zwischen der Berichterstattung in Ost- (DDR und Neue Bundesländer, NBL) und Westdeutschland (BRD und Alte Bundesländer, ABL) beleuchtet. Es zeigt sich dabei, dass die DDR-Presse deutlicher versuchte, eine neue nationale (DDR-) Identität zu etablieren. In massierterer Form wurden identitätsbildende Themen dargestellt und verwendet. Die westdeutsche Presse griff dagegen eher auf subtilere Mechanismen zurück und stellte (bei Abgrenzung von der NS-Zeit - wie die ostdeutsche Berichterstattung auch) deutlich mehr Bezüge zur gemeinsamen deutschen Vergangenheit her.
Die Schweizer Studie unternahm eine quantitative Inhaltsanalyse der Identitätserzeugung durch vier Zeitungen der deutschsprachigen Schweiz vor dem Hintergrund relevanter Identitätsdimensionen und einer qualitativen Untersuchung der historischen und sozialen Veränderungen während des Untersuchungszeitraums. Einige der Ergebnisse bestätigten die vorausgehenden Erwartungen, beispielsweise in Bezug auf die durchgängige Westintegration der "neutralen" Schweiz. Im folgenden Beitrag werden jedoch die weniger offensichtlichen Aspekte der Modernisierung nationaler Identität und der zunehmenden Europaintegration besonders betont. Während sich die vier Zeitungen in ihren Berichterstattungsstilen nur vergleichsweise wenig unterschieden, konnten kontinuierliche zeitabhängige Veränderungen aufgezeigt werden, die die Modernisierung nationaler Identitäten insbesondere seit den 1970er Jahren widerspiegeln: Der unkritische Ausdruck von Nationalstolz nahm ab, traditionale Institutionen wie die Armee verloren teilweise ihren früheren Einfluss, und die Selbstdarstellung als "einzigartige" Nation wurde weniger gängig. Diese Entwicklung geht klar mit dem Prozess der zunehmenden Europaintegration der Schweiz einher.


 

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Zu den Autoren:
Andreas Mattenschlager, geb. 1968, Diplom in Psychologie (Universität Konstanz, 1997); 1997 - 2001 Mediator und Psychologischer Berater in eigener Praxis, seit 2002 Mitarbeiter in einer Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in Ulm.
Adresse:
Hoferinweg 45, D-89155 Erbach, Germany. e-Mail: mattenschlager@freenet.de

Hubert Riedle, geb. 1969, Diplom in Psychologie (Universität Konstanz, 1997); 1997 - 2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter eines Beratungsunternehmens in Basel; seit 2002 in der strategischen Planung eines Verkehrsunternehmens in Bern tätig. Arbeitsschwerpunkte: Europäische Verkehrspolitik, Verkehrsplanung, Infrastruktur- und Kommunikationsberatung, empirische Medienanalyse.

Adresse: Freiburgstrasse 54, CH-3008 Bern, Switzerland. e-Mail: hubert.riedle@gmx.ch