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Projektgruppe Friedensforschung
Konstanz (ed.), 2005. Nachrichtenmedien als Mediatoren von Peace-Building,
Demokratisierung und Versöhnung in Nachkriegsgesellschaften. Berlin:
verlag irena regener.
Die Medienberichterstattung
über internationale Konflikte, Kriege und Bürgerkriege wird
seit Jahrzehnten von der Wissenschaft begleitet, als wahrscheinlich bekannteste
Vertreter seien hier Noam Chomsky und Johan Galtung genannt, die sich
beide schon lange mit Nachrichtenmedien im allgemeinen und mit Konfliktberichterstattung
im besonderen auseinandersetzen. Angefangen bei den Weltkriegen bis hin
zu den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien und am Persischen Golf, die Diagnose
fällt recht eindeutig aus: Konfliktberichterstattung tendiert dazu,
mit fortschreitender Konfliktintensität zu vereinfachen, zu polarisieren,
schwarz-weiss zu malen, kurz: sich in der Eskalationsdynamik des Konfliktes
zu verfangen. Damit jedoch trägt die 'vierte Gewalt' ihrerseits zur
Verschärfung von Konflikten bei.
So weit, so
nicht gut. Seit ein paar Jahren wird ein Modell von Journalismus entwickelt,
das diesen gut dokumentierten Tendenzen etwas entgegenzusetzen versucht:
Friedensjournalismus, also der Versuch, Modelle, Formen und Praktiken
deeskalationsorientierter Konfliktberichterstattung zu entwickeln und
zu etablieren. Bald setzte Kritik ein: Friedensjournalismus sei ein allzu
akademisches und realitätsfernes Projekt, man würde Journalisten
wie auch Medienkonsumenten und -konsumentinnen damit überfordern,
das würde kaum jemand produzieren und schreiben können und schon
gar niemand kaufen und lesen wollen.
Friedensjournalismus
- akademisch und realitätsfern?
Das vorliegende
Buch der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz setzt hier an, es kann
als der Versuch gelesen werden, derartige Kritik methodisch fundiert zu
entkräften. Es fragt:
- Stimmt das mit
der Realitätsferne? Oder, lassen sich im Gegenteil Beispiele für
deeskalationsorientierte Berichterstattung finden, konkrete Texte, die
als 'friedensjournalistisch' bezeichnet werden können? Lassen sich
solche Beispiele eventuell sogar schon avant la lettre finden, zum Beispiel
in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, bevor die heutigen konkreten
Vorstellungen von Friedensjournalismus ausformuliert wurden? Oder findet
man solche Beispiele selbst dort nicht, wo man sie mit gutem Grund vermutet?
- Stimmt die These
der Überforderung der Medienkonsumenten und -konsumentinnen? Möchte
das Publikum so vorgeblich kompliziertes, 'trockenes Zeug' wirklich
nicht? Oder ist es ein Mythos, dass das Publikum nur (noch) einfache
Botschaften in ansprechender Verpackung versteht? Wird das Publikum
nicht etwa unterschätzt und wäre es nicht sehr wohl bereit
und verständig, friedensjournalistisch geformte Texte zu lesen
und zu akzeptieren?
- Und wie steht es
mit der Überforderung der Journalisten? Lassen sich, wie oben angedeutet,
konkrete Beispiele von Friedensjournalismus finden, dann spricht das
zunächst eher gegen die These der Überforderung der Journalisten;
oder aber sind die heutigen Produktionsbedingungen der Nachrichtenmedien
dergestalt, dass sich Friedensjournalismus nicht mehr in den Produktionsprozess
integrieren lässt, schliesst der moderne Arbeitsalltag von Journalisten
die Produktion deeskalationsorientierter Berichterstattung aus?
Nach-Kriegsberichterstattung
im Fokus
Um diese Fragen
angehen zu können, macht die Forschungsgruppe eine methodische Schwerpunktverlagerung:
Nicht mehr Kriegsberichterstattung steht im Mittelpunkt ihrer Untersuchungen,
sondern Nach-Kriegsberichterstattung. Nach einem längeren (insbesondere
militärischen) Konflikt ändern sich die mentalen Tiefenstrukturen
nicht umgehend, die alten Feindbilder und Antagonien bleiben zunächst
bestehen; aber, der Wind kann drehen, die Konfliktdynamik kehrt von Eskalation
auf Deeskalation, Peace-Building, Demokratisierung und Versöhnung
werden möglich und wollen journalistisch begleitet werden. Nachkriegsberichterstattung
also als wahrscheinlicher Fundort von Beispielen für deeskalationsorientierten
Journalismus, für Journalisten, die ihn produzieren, und für
Medienkonsumenten und -konsumentinnen, die ihn akzeptieren.
So spürt
Susanne Jäger in der bundesdeutschen Nach-Weltkriegs-Berichterstattung
über Frankreich Beispielen deeskalationsorientierten Journalismus'
nach, und findet diese auch - wenn auch in vergleichsweise geringem Ausmass.
Aber es gibt sie, die Beispiele, und so gab es beispielsweise in den Endvierziger
bis Sechziger Jahren in Deutschland zeitweise weniger Eliteberichterstattung,
und mehr an strukturellen Themen und an Versöhnung mit der französischen
Bevölkerung orientierten Journalismus. Jäger kommt deshalb zum
Schluss, dass "Journalisten sehr wohl über das Instrumentarium
einer solchen (deeskalationsorientierten; M.R.) Berichterstattung und
über eine breite Palette an analytischen und rhetorischen Mitteln
zu deren Umsetzung verfügen" (S. 279).
Die Presseberichterstattung
in und über Jugoslawien nach Miloevic wird als weiterer wahrscheinlicher
Fundort von Friedensjournalismus ins Blickfeld genommen. Ute Annabring
und Susanne Jäger untersuchen dazu den Wandel des "Feindbildes
Serbien" nach dem Sturz von Miloevic; Burkhard Bläsi,
Susanne Jäger, Wilhelm Kempf, Margarita Kondopoulou und Dimce Paskoski
unternehmen qualitative Vergleichsstudien deutscher, griechischer und
serbischer Printmedien, und konzentrieren sich dabei darauf, konstruktive
Aspekte des Nachrichtendiskurses zu identifizieren. Beide Studien erbringen
Hinweise darauf, dass Medien in Nachkriegsgesellschaften differenziert,
vielseitig und offen zu berichten vermögen - wobei das interessanterweise
tendenziell mehr für die serbischen, als für die weniger direkt
vom Konflikt betroffenen Medien in Deutschland und Griechenland gilt.
Experimentelle
Rezeptionsforschung: "An die Leser denken"
Ein weiterer
Schwerpunkt der Projektgruppe neben dem Auffinden und Dokumentieren konkreter
Beispiele friedensjournalistischer Praxis ist die Rezeptionsforschung:
Wie nehmen durchschnittliche Zeitungsleser und -leserinnen deeskalationsorientierte
Berichterstattung auf? Akzeptieren sie sie mehr oder weniger als 'traditionell'
produzierte Berichterstattung? Halten sie sie für mehr oder weniger
glaubwürdig und attraktiv, und sind sie überhaupt motiviert
und willens, Friedensjournalismus zu rezipieren?
Die Forschungsgruppe
führte dazu eine experimentelle Rezeptionsstudie durch und liess
die Probanden verschiedene Varianten von Zeitungstexten lesen und nacherzählen.
Darüber hinaus kam ein Fragebogen zum Einsatz. Anhand der Daten vergleichen
Burkhard Bläsi, Susanne Jäger, Wilhelm Kempf und Monika Spohrs
die Glaubwürdigkeit und Attraktivität von eskalations- und deeskalationsorienterten
Nachrichtentexten und kommen zum Schluss, dass "die Leserschaft friedensjournalistische
Texte nicht nur genauso annehmen würde wie den bekannten Mainstream-Journalismus,
sondern diese in einigen Aspekten sogar bevorzugen würde" (S.
234). Ute Annabring, Ruth Ditlmann und Wilhelm Kempf gehen dann einen
Schritt weiter und untersuchen die Effekte, die die verschiedenen Formen
von Berichterstattung auf die Konfliktwahrnehmung der Probanden haben.
Dazu wurden die Nacherzählungen der Nachrichtentexte inhaltsanalytisch
untersucht, wobei sich zeigte, dass sich eskalations- bzw. deeskalationsorientiertes
Framing von Ereignissen tatsächlich auf die mentalen Konfliktmodelle
der Probanden auswirkt. Kurz, Leser akzeptieren friedensjournalistische
Texte, halten sie für glaubwürdig, sofern die Texte sich nicht
zu weit von vorgängigen mentalen Modellen entfernen, und die Texte
wirken sich entsprechend auf die Konfliktwahrnehmung der Leser aus.
Untersuchung der
Produktionsbedingungen journalistischer Arbeit in Konflikten
Dass den Journalisten
das notwendige Instrumentarium zur Produktion von deeskalationsorientierter
Berichterstattung prinzipiell zur Verfügung steht, dass dieses Instrumentarium
zumindest in Nachkriegszeiten zum Einsatz kommt, und dass Rezipienten
diese Art von Berichterstattung akzeptieren können, wird also von
der Projektgruppe nachgewiesen. Welcher Art sind jedoch die modernen "Produktionsbedingungen
konstruktiver Konfliktberichterstattung", so der Titel eines weiteren
Beitrags von Burkhard Bläsi? Bläsi hat dazu Journalisten und
Journalistinnen zu ihrer Arbeit interviewt und die Ergebnisse mithilfe
der Methode der Grounded Theory systematisiert. Ein weiteres Mal wird
hier also dem Vorwurf der Realitätsferne begegnet, indem Bläsi
- zum Teil auch vor Ort - diejenigen befragt, die friedensjournalistische
Ansätze umzusetzen hätten.
Herausgekommen
ist ein noch eher allgemeines Modell der Einflussfaktoren und der Produktionsbedingungen
journalistischer Arbeit in Kriegszeiten. Bläsi leistet damit ein
Stück Pionierarbeit, denn, wie er festhält, "mangelt es
bislang (im Hinblick auf die Konfliktberichterstattung; M.R.) an umfassenderer
Theoriebildung" (S. 257). Eine Fortsetzung und weitere Differenzierung
seiner Arbeit wäre wichtig, damit realistische Implementierungsstrategien
für friedensjournalistische Ansätze entwickelt werden können.
In einer Beziehung fällt Bläsis Arbeit jedoch gewissermassen
aus dem Rahmen, er fokussiert nämlich wieder mehr auf Kriegs- und
Konfliktberichterstattung als auf NACH-Kriegsberichterstattung. Unter
Umständen liessen sich jedoch im Rahmen der expliziten Untersuchung
der Produktionsbedingungen von Nachkriegsberichterstattung weitere, eine
deeskalationsorientierte Berichterstattung ermöglichende und fördernde
Einflussfaktoren identifizieren.
Forschungsprogrammatische
Fundierung und Abrundung
Abgerundet wird
das vorliegende Buch durch drei Beiträge von Wilhelm Kempf, zwei
davon zusammen mit Susanne Jäger. Kempf, der die Projektgruppe Friedensforschung
Konstanz begründet hat und seit einigen Jahren leitet, gibt mit diesen
Beiträgen einen umfassenden und aktuellen Überblick über
das Forschungs- und Entwicklungsprogramm "Konstruktive Konfliktberichterstattung"
und seine Einordnung in die academia, in die Sozialpsychologie einerseits,
und in journalistische Arbeits- und Produktionsrealitäten andererseits.
Einleitend stellt er dazu "Modelle des Friedensjournalismus"
vor, um dann gemeinsam mit Jäger "Von der Theorie zur Empirie"
zu führen. Beide zeigen am Ende des Buches "Grenzen und Möglichkeiten
konstruktiver Nachkriegsberichterstattung" auf. Die Lektüre
dieser drei Kapitel sei insbesondere denjenigen ans Herz gelegt, die sich
nicht die Zeit nehmen können, das Buch von vorn bis hinten zu lesen.
An dieser Stelle
sei dann auch der aus Sicht des Rezensenten einzige Kritikpunkt erlaubt:
Die Lektüre des Buches gerät gelegentlich, insbesondere in den
Ergebnisdarstellungen der Studien, ins Stocken, zu detailreich sind gelegentlich
die Ausführungen, zu komplex die Darstellung der Ergebnisse (insbesondere
die Lektüre von Ergebnissen von Latent-Class-Analysen erfordert höchste
Aufmerksamkeit). Als gleichsam rettender Anker erscheinen zwar jedes Mal
die zusammenfassenden Ergebnisinterpretationen; eventuell hätte sich
jedoch angeboten, Teile der Ergebnisdokumentationen in einen separaten
Anhang zu stellen.
Insgesamt jedoch
sei das Buch rundum empfohlen: als Pflichtlektüre den auf diesem
Gebiet tätigen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, als Einstieg,
Überblick und Anregung zur Selbstreflexion den interessierten Journalisten
und Journalistinnen. Der Vorwurf der Realitätsferne des Modells Friedensjournalismus
wird hier sowohl methodisch als auch in den Ergebnissen insgesamt überzeugend
zurückgewiesen. Und, hier wird Neuland betreten, weitere interessante
Forschungsfragen schliessen sich umgehend an: Welche Rolle spielen neue
Formen des Journalismus, z.B solche, die durch das Internet ermöglicht
werden (z.B. 'Weblogs')? Wie verändern sich die von Bläsi dargestellten
Produktionsbedingungen, sobald ein Journalist anfängt, friedensjournalistische
Modelle umzusetzen? Oder aber, und besonders wichtig: Wie können
die Ergebnisse in die Journalistenausbildung einfliessen? Die Projektgruppe
Friedensforschung Konstanz hat hier noch viel vor sich. Was die Forschungsgruppe
sich von Journalisten wünscht, kann ihr jedenfalls auch zugestanden
werden: Originalität der (Forschungs-)Fragen, Kreativität, aber
auch Solidität beim Einsatz der Methoden, und die wachsende Gewissheit,
dass sie auf der richtigen Spur ist.
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Michael
Reimann
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