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Petra Gerster &
Michael Gleich, 2005. Die Friedensmacher. München: Carl Hanser Verlag.
Übermäßige
Orientierung an Eskalation und Gewalt, zu starker Fokus auf die politischen
Eliten, mangelnde Aufmerksamkeit für langfristige Prozesse der Deeskalation,
Friedenskonsolidierung und Versöhnung: so lauten einige der wiederkehrend
vorgetragenen Kritikpunkte der Friedensforschung an der journalistischen
Konflikt- und Kriegsberichterstattung. Dem Mainstream der Konfliktberichterstattung
ein kleines Gewicht entgegenzusetzen, das ist das Anliegen des Projekt
Peace Counts. Unter diesem Namen hat sich eine kleine Gruppe von Journalisten
der Aufgabe verschrieben, weltweit Menschen ausfindig zu machen und zu
porträtieren, die besonders kreativ, glaubwürdig, langfristig
und erfolgreich an Friedensprozessen arbeiten. Eine Auswahl der Reportagen,
die zunächst in verschiedenen Zeitungen und Magazinen publiziert
oder als Hörfunkprogramm gesendet worden sind, ist nun unter dem
Titel "Die Friedensmacher" in Buchform erschienen.
Die Protagonisten der elf im Buch abgedruckten Geschichten stammen aus
den unterschiedlichsten Regionen der Welt; ebenso verschieden sind die
Konflikte, innerhalb derer sie sich bewegen. Eines jedoch ist allen Reportagen
gemeinsam. Porträtiert werden hier nicht diejenigen, die in der Weltpresse
gemeinhin als "Friedensmacher" gelten - Spitzendiplomaten wie
Richard Holbrooke oder Javier Solana oder Nobelpreisträger wie Jimmy
Carter, Nelson Mandela und Kofi Annan. Die Geschichten handeln vielmehr
von Menschen, die abseits der großen Medienöffentlichkeit ihre
Friedensarbeit verrichten. Eine Arbeit, die zunächst kleinere Kreise
zieht als die große Politik, ohne die jedoch vor Ort, bei den betroffenen
Menschen, kein Frieden entstehen kann und ohne die jedes offizielle Abkommen
letztlich wertlos bleibt.
So lernt der Leser zum Beispiel Joe Doherty und Peter McGuire kennen,
die im Nordirlandkonflikt lange Jahre in terroristischen Gruppierungen
für ihre jeweilige Seite gekämpft haben; heute versuchen sie,
als Sozialarbeiter Jugendlichen ihre Erfahrung weiterzugeben, dass der
Weg der Gewalt in eine Sackgasse mündet und dass nur der Dialog eine
Lösung bringen kann. Oder Padre Giovanni, der in Kolumbien zwischen
Guerillas und Paramilitärs vermittelt. Oder Victoria Maloka, die
in Kapstadt für das Conflict Resolution Centre als Mediatorin tätig
ist. Oder Rohini Narasingham, der sich in Sri Lanka für den Wiederaufbau
in einer vom Bürgerkrieg zerstörten Region einsetzt. Oder Yehia
Ag Mohammed Ali, der in Mali zwischen verfeindeten Stammesgruppen Brücken
baut.
Die Aktivitäten dieser Menschen stehen im Mittelpunkt der Reportagen.
Sehr anschaulich wird geschildert, wie jeder dieser Friedensarbeiter in
seiner Region versucht, zu einer gewaltfreieren Austragung von Konflikten
beizutragen. Friedensarbeit manifestiert sich hier in täglich neuen
Begegnungen, Gesprächen, Verhandlungen, Vermittlungen, in Maßnahmen
zur Sicherung der Lebensgrundlagen, in Hilfestellungen bei der Bewältigung
des Nachkriegsalltags, im Monitoring von Friedensvereinbarungen, in Bildungsarbeit,
oder im öffentlichen Eintreten gegen den Einsatz von Gewalt.
Der Leser erfährt dabei einiges über den Charakter von Friedensprozessen.
Es wird deutlich, dass es um langfristige Zeiträume geht, dass das
Aufweichen starrer Denkschablonen und eingefahrener Verhaltensmuster bei
den Konfliktparteien oft nur zögerlich und schrittweise erfolgen
kann und dass der Weg zum Frieden mit mannigfaltigen Hindernissen und
Rückschlägen gepflastert ist. Gleichzeitig wird ersichtlich:
Frieden wird, wie auch der Krieg, von Menschen gemacht. Und zwar nicht
nur von vermeintlich unerreichbaren Ausnahmepersönlichkeiten wie
Gandhi oder Martin Luther King, sondern von ganz normalen Menschen. Dass
die hier vorgestellten "Friedensmacher" wirklich als Menschen
aus Fleisch und Blut erscheinen, liegt neben der präzisen Beobachtungsgabe
der Autoren auch an der von ihnen zumeist beiläufig in die Reportagen
eingeflochtenen persönlichen Lebensgeschichte und Motivation der
Akteure.
Nimmt man die von Johan Galtung formulierten Anforderungen an einen Friedensjournalismus
als Analyseschablone, so erfüllen diese Reportagen etliche wichtige
Kriterien: sie sind durch und durch menschenorientiert, sie humanisieren
alle Seiten, sie thematisieren die sichtbaren und unsichtbaren Kriegsfolge,
sie sind lösungsorientiert und weisen kreative Wege in eine friedlichere
Zukunft. Was diese Texte nicht leisten können, ist eine grundlegende
Einführung in die jeweiligen Konflikte zu geben. Die Hintergründe
der Konflikte werden zumeist nur sehr knapp gestreift, die Komplexität
des gesamten Geschehens ist für einen unkundigen Leser oftmals nur
zu erahnen. Allerdings wären die Reportagen mit einem diesbezüglich
weiterreichenden Anspruch auch überfrachtet. Die Stücke wollen
ja ganz bewusst nur bestimmte, von den Medien normalerweise stark vernachlässigte
Teilaspekte der Konfliktwirklichkeit in den Blickpunkt rücken. In
diesem Sinne können solche Reportagen einen wichtigen Baustein im
Rahmen einer friedensorientierten Berichterstattung darstellen. Selbstverständlich
wird es daneben weiterhin Erklärstücke geben müssen, die
den Konflikthintergrund ausleuchten. Und natürlich wird auch in Zukunft
Berichterstattung über die Äußerungen führender Politiker
oder über aktuelle Kampfhandlungen und die neueste Zahl der Getöteten
vonnöten sein. In Frage gestellt werden sollte jedoch das Ungleichgewicht
in der Darstellung von Elite-Personen und Non-Elite-Personen sowie zwischen
eskalationsorientierten und deeskalationsorientierten Akteuren.
Den elf Reportagen hat der Koordinator von Peace Counts, Michael Gleich,
zwei weitere Artikel angefügt. Im ersten Artikel werden in Form von
zehn Thesen die zentralen Eigenschaften und Fertigkeiten von "Friedensstiftern"
benannt, die sich aus den Recherchen der Reporter von Peace Counts extrahieren
lassen. Der zweite Artikel "Peace Economis - Wie sich Frieden auszahlt"
will nachweisen, dass sich friedliche Formen der Konfliktaustragung gegenüber
kriegerischen Auseinandersetzungen auch wirtschaftlich rentieren. Bei
diesem an und für sich löblichen Unterfangen wird dann jedoch
die höchst zweifelhafte These vertreten, dass der Bosnienkonflikt
auf vergleichsweise billige Art hätte verhindert werden können:
indem man nämlich Anfang der 90er-Jahre dort vier Jahre lang eine
200.000 Mann starke internationale Friedenstruppe stationiert hätte.
Dies hätte nur 33 Mrd. Dollar gekostet anstelle der für Wiederaufbau
und humanitäre Hilfe realiter ausgegebenen 53 Mrd. Dollar. Abgesehen
von der Fragwürdigkeit des Rechenexempels, das der von Gleich hierbei
zitierten Studie zugrunde liegt (inwiefern zum Beispiel Kosten für
die Ausbildung und Grundausrüstung einer solchen Friedenstruppe mit
einbezogen wurden, bleibt unklar), konterkariert diese These vollkommen
sämtliche Erkenntnisse über Deeskalations- und Friedensprozesse,
die in den vorangegangenen Porträts der Friedensmacher zum Ausdruck
gebracht werden.
Dieses Exkurses unbenommen stellen die elf Reportagen aber zweifelsohne
ein gelungenes Beispiel für eine Spielart friedensorientierter Berichterstattung
dar. Dass die Reportagen vor der Buchveröffentlichung allesamt in
Mainstreammedien erschienen waren, zeigt, dass solche Stücke bei
guter Qualität auch durchaus marktfähig sind.
Darüber hinaus stellen die Reportagen noch in anderer Hinsicht eine
wichtige Anregung für die Weiterentwicklung friedensjournalistischer
Konzepte dar, namentlich in Bezug auf das in der einschlägigen Literatur
bislang vernachlässigte Thema der Friedensfotografie. Die reichhaltige
und großformatige Bebilderung der Reportagen spielt für den
Eindruck, welchen der Leser von den Geschehnissen erhält, eine bedeutende
Rolle. Auf der beiliegenden CD-ROM werden denn auch mögliche "Prinzipien
der Friedensfotografie" vorgestellt - ein Anstoß insbesondere
für Fotojournalisten, aber auch für diesbezügliche Forschung.
Die vom Institut für Friedenspädagogik Tübingen erstellte
CD-ROM lohnt auch ansonsten einen genaueren Blick. Neben Hintergrundmaterial
zu ausgewählten Konflikten finden sich dort noch weitere Informationen
zum Thema Friedensjournalismus.
Burkhard
Bläsi
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