conflict & communication online, Vol. 17, No. 1, 2018
www.cco.regener-online.de
ISSN 1618-0747

 

 

 

Felix Koltermann (2017). Fotoreporter im Konflikt. Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina. Bielefeld: transcript Verlag.
ISBN 978-3-8376-3694-9 .

Felix Koltermann zeigt in seiner Dissertation „Fotoreporter im Konflikt. Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina“ sein breites Wissen über die Region und das Thema Fotojournalismus. Er entwickelt darin eine Typologie fotojournalistischer Akteure, die auch Einsatz in anderen Konflikten finden kann. Die Arbeit basiert auf zwei theoretischen Säulen: Dem Journalismus- und dem Konfliktkontext. Die Arbeit kombiniert Ansätze aus der Kommunikationswissenschaft mit der Friedens- und Konfliktforschung.
Nach einer Beschreibung des Forschungsstands in unterschiedlichen, dem Fotojournalismus nahen Bereichen der Kommunikationswissenschaft, widmet sich Koltermann in einem ersten Theoriekapitel dem Journalismuskontext. Darauf folgt die Theorie hinsichtlich des Konfliktkontexts und eine „Bestimmung der besonderen Bedingungen des Fotojournalismus in Konflikten“, die dann zu einem „Akteursmodell des fotojournalistischen Handelns im Konflikt“ zusammengeführt wird (S. 19). Anschließend beschreibt Koltermann den Nahost-Konflikt und die daraus resultierenden Besonderheiten für Fotoreporter, ehe er seine Methodik und sein Forschungsdesign erläutert. Darauf folgen die empirischen Teile zum Journalismus- und Konfliktkontext, ehe Koltermann seine Typologie vorstellt und ein Fazit zieht.
Bisher existieren nur wenige Arbeiten mit einem ähnlichen Thema (S. 22). Koltermann stellt fest, „dass bis heute eine breit angelegte, wissenschaftlich fundierte Studie fehlt, die mit qualitativen Methoden das Feld der Fotojournalistischen Produktion im Allgemeinen und in Konfliktkontexten im Besonderen vergleichend erforscht“ (S. 39) und möchte genau das mit seiner Arbeit leisten. Zur fotographischen Repräsentation des Nahostkonflikts existiert bereits viel Literatur, die Koltermann auch kurz zusammenfasst (S. 23). Die Fotos selbst, die oft Teil von wissenschaftlichen Untersuchungen sind, werden bewusst nicht in der Arbeit thematisiert, sondern der Fokus auf etwas Neues gerichtet: Auf die Rolle der Reporter als Akteure im Konflikt. Hier sind vor allem die Auswirkungen von Macht und Herrschaft auf die Presse- und Bewegungsfreiheit der Reporter bedeutsam. Koltermann sieht es als problematisch an, dass Fotoreporter in Studien meist als gewöhnliche Journalisten gesehen werden (S. 39).
Die Ergebnisse anderer Vergleiche zwischen internationalen, israelischen und palästinensischen Fotoreportern werden von Koltermann bestätigt. Es existieren deutliche Vorteile der ausländischen Fotoreporter hinsichtlich Bewegungsfreiheit und teilweise gibt es politische Motivationen unter palästinensischen Fotoreportern für die Ausübung der Tätigkeit. Aber auch neue Entwicklungen im Fotojournalismus wie die Wichtigkeit der Geschwindigkeit bis zur Publikation oder das Aufkommen der „citizen photographer“ (S.35) werden ebenfalls vorgestellt. Besonders interessant ist aufgrund begrenzter Einnahmemöglichkeiten und eines zunehmenden Konkurrenzkampfes zwischen Fotoreportern das neu auftretende Phänomen der NGO-Dokumentaristen (S. 255), die oft inszeniert in fotografischen Medienprojekten z.B. zusammen mit NGOs arbeiten, um diese nach außen zu repräsentieren. Informativ sind auch die Einblicke in die Handlungs-Ethik der Fotoreporter und deren Umgang mit inszenierten Ereignissen (S. 291).
Im praktischen Teil reflektiert der Autor überzeugend seine eigene Position und erläutert die Zusammensetzung der 40 Interviewpartner nachvollziehbar. Auf eine Repräsentation aller verschiedenen Gruppierungen (Israelis, Palästinenser, Internationale) wurde geachtet. Letztendlich entwirft Koltermann eine Typologie der Fotoreporter im Nahost-Konflikt, die aus neun Typen besteht: „News-Activist, News-Runner, News-Feature-Producer, Ein-Personen-Unternehmer, Illustrator, Geschichtenerzähler, konzeptioneller Dokumentarist, NGO-Dokumentarist, sowie sozial-dokumentarischer Aktivist.“ (S. 407). Diese Typen sind im Feld von Nachrichten- bis Dokumentarfotografie angesiedelt.
In einer von Arbeiten zu Repräsentation dominierten Forschungslandschaft bietet die Arbeit neue Erkenntnisse für das Verständnis der Akteure hinter den visuellen Produkten und deren Umgang mit dem Konflikt.  Auch die Rolle der unterschiedlichen Agenturen sind fachkundig erläutert. Dabei erhält der Leser auch systematisches Wissen über die Funktionsweise der globalen Vermarktung der visuellen Produkte. Vor allem die Darstellung der Prozesse und Strukturen von der Entstehung, Selektion und Publikation der visuellen Produkte ist sehr aufschlussreich.
Vor allem im ausführlichen Theorieteil der Arbeit hat Koltermann eine beachtliche Menge an Wissen gesammelt und zeigt seine Expertise im Bereich des Fotojournalismus und des Nahost-Konflikts. Er geht auf die Sozialisation der Fotoreporter ein und schildert ethische Fragen aus der Sicht der Reporter nachvollziehbar. Auch deren eigene Konfliktnarrative sind eine interessante Erkenntnis. Im Vordergrund stehen für ihn jedoch stets die Macht- und Herrschaftsstrukturen und deren Auswirkungen auf den Entstehungsprozess der Fotos, die für einen Großteil der Menschen den einzigen visuellen Zugang zum Konflikt bietet.
Die Punkte zu den psychologischen Faktoren am Ende der Arbeit sind etwas kurz geraten. Sehr ausführlich mit den Grundlagen beschäftigen sich die ersten Punkte zu Fotografie und zum Nahostkonflikt im Theorieteil. Die Forderungen nach Änderungen in der Ausbildung der Fotoreporter am Ende der Arbeit wirken vor dem Hintergrund der ausführlich geschilderten Strukturen und ökonomischen Zwängen sehr idealistisch und schwer umsetzbar. Schade ist, dass der Autor die Arbeit auf Deutsch verfasst hat, obwohl ein Großteil der Literatur und die meisten Interviews auf Englisch erfolgten und er damit seinen potentiellen Leserkreis unnötig einschränkt.
Insgesamt ist die Arbeit sehr transparent, selbst-reflektiert und nachvollziehbar. Sie schafft detailgenaue Grundlagen für das Verständnis des Konflikts und des fotojournalistischen Handelns und erarbeitet aus einer Fülle an Material eine Typologie, bei der es sich trotz der Spezifika des Nahostkonflikts lohnt, auf andere Konflikte angewendet zu werden.

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Daniel Beck

 

     
 

Über den Autor: Daniel Beck schloss seinen Bachelor in Neuerer und Neuester Geschichte und Politikwissenschaft in Freiburg ab und absolviert derzeit den Master in Peace and Conflict Studies (PACS) in Magdeburg. Zu seinen Schwerpunkten zählen u.a. Popular Culture und Internationale Politik sowie Geschichte und Erinnerung.
email: daniel.beck@ovgu.de

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