conflict & communication online, Vol. 20, No. 1, 2021
www.cco.regener-online.de
ISSN 1618-0747

 

 


Editorial

 

 

 

Seit das Projekt des Friedensjournalismus vor nunmehr 25 Jahren aus der Taufe gehoben wurde (Kempf 1996, Galtung 1998), hat sich die einschlägige Forschungs- und Entwicklungsarbeit vornehmlich auf die Berichterstattung über Kriege oder kriegsähnliche Konflikte konzentriert. Dies ist insofern nicht überraschend, als die Konzepte des Friedensjournalismus ja zunächst in Reaktion auf den Golfkrieg 1990/91 und die postjugoslawischen Bürgerkriege entstanden waren. Andererseits wirft bereits Galtung (1998) den von ihm so genannten Kriegs- bzw. Gewaltjournalismus vor, dass ihm erst das Ausbrechen von Gewalt Anlass für Berichterstattung gibt und er sich nach Kriegsende dem nächsten Konfliktherd zuwendet und erst wieder zurückkehrt, wenn der alte Konflikt wieder aufflackert.
Denselben Vorwurf muss sich auch die friedensjournalistische research community gefallen lassen, und es gibt nur wenige Studien, die sich mit der Berichterstattung über politische Konflikte unterhalb der Gewaltschwelle – wie z.B.
den Rio-San-Juan-Konflikt zwischen Costa Rica und Nicaragua (Gutiérrez-Villalobos 2005) oder den deutsch-französischen Konflikt um die Präsidentschaft der Europäischen Zentralbank 1997 (Plontz 2006) – und/oder mit Nachkriegsberichterstattung – z.B. über Ex-Jugoslawien nach dem Sturz von Milosevic (PFKN 2005) oder die deutsch-französische Aussöhnung nach 1945 (Jaeger 2009) – befassen.
Dabei handelt es sich vornehmlich um empirische Studien, welche den eskalationsorientierten Bias herkömmlicher Konfliktberichterstattung, dessen tendenzielle Abschwächung in der Nachkriegsberichterstattung und seine weitgehende Überwindung demonstrieren, wenn Frieden und Versöhnung auf der politischen Tagesordnung stehen. Richtlinien für eine präventive Berichterstattung über (noch) geringfügig bis moderat eskalierte Konflikte wurden jedoch erst von Reimann (2019) entwickelt und in conflict & communication online, Vol. 18, No. 2, zur Diskussion gestellt.
Das vorliegende Zeitschriftenheft greift diese Thematik erneut auf. Wilhelm Kempf entwickelt Empfehlungen für eine konstruktive Berichterstattung über Verhandlungen; Wassilios Baros, Aida Delic & Themistoklis Moutsisis präsentieren die Ergebnisse einer empirischen Studie zur Berichterstattung über den deutsch-griechischen Konflikt um Reparationszahlungen für die Kriegsverbrechen des 2. Weltkrieges, und Benyamin Neuberger & Keren-Miriam Adam berichten darüber, wie sich israelische Journalisten zum Umgang der Medien mit der COVID-19 Pandemie und der politischen Krise in Israel positionieren.
Abgerundet wird das Heft durch die Dokumentation eines Essays von Tejan Lamboi, der die Ermordung von George Floyd in den USA zum Anlass nimmt, den Finger auf den alltäglichen Rassismus in Deutschland zu legen und im Anschluss an Angela Davis dafür argumentiert, dass es „in einer rassistischen Gesellschaft nicht aus(reicht), nicht rassistisch zu sein. Wir müssen antirassistisch sein“.

Berlin, im April 2021

Wilhelm Kempf

Literatur

Galtung, J. (1998). Friedensjournalismus: Was, warum, wer, wie wann und wo? In: Kempf, W. & Schmidt-Regener, I. (eds.). Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien. Münster: Lit, 3-20.
Gutiérrez-Villalobos, S. (2005). Pro-conflict and pro-cooperation coverage: The San Juan River conflict. conflict & communication online, 4/1.
Jaeger, S. (2009). Nachrichtenmedien als Ressource für Frieden und Versöhnung. Inhaltsanalytische Pressestudien zur westdeutschen Berichterstattung nach dem Zweiten Weltkrieg. Berlin: regener
Kempf, W. (1996). Konfliktberichterstattung zwischen Eskalation und Deeskalation. Wissenschaft & Frieden, 14/2, 51-54.
PFKN (Projektgruppe Friedensforschung Konstanz) (ed.) (2005). Nachrichtenmedien als Mediatoren von Peace-Buildung, Demokratisierung und Versöhnung in Nachkriegsgesellschaften. Berlin: regener.
Plontz, A. (2006). Der deutsch-französische Konflikt um die Präsidentschaft der Europäischen Zentralbank in der deutschen und französischen Presse. conflict & communication online, 5/1.
Reimann, M. (2019). Friedensjournalismus in geringfügig bis moderat eskalierten Konflikten: Konflikttheoretische Grundlagen, Variablen und Berichterstattungsmuster. conflict & communication online 18/2.


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