Nachrichtenmedien als Mediatoren von Demokratisierung, Peace-Building und Versöhnung in Nachkriegsgesellschaften

Während der eskalationsorientierte Bias der Kriegsberichterstattung in einer Vielzahl an Untersuchungen empirisch nachgewiesen werden konnte, gibt es bislang erst wenige empirische Studien, welche sich der Frage widmen, wie der Kriegsdiskurs nach Eintreten eines Waffenstillstandes und/oder Abschluss eines Friedensvertrags wieder dekonstruiert und schrittweise in einen Friedensdiskurs transformiert werden kann.
Hier setzt das vorliegende Projekt an, das auf die Entwicklung eines handlungsleitenden Modells abzielt, wie Journalisten durch ihre Arbeit zur Deeskalation von Konflikten beitragen, Friedensprozesse fördern und den Prozess der Versöhnung zwischen den (früheren) Kriegsparteien unterstützen können.
Im Mittelpunkt des Projektes stehen 4 empirische Untersuchungsfelder mit 9 teilweise aufeinander aufbauenden Einzeluntersuchungen: (1) Die Untersuchung der deutschen Presseberichterstattung über Frankreich von 1946 bis 1970. (2) Die Untersuchung der deutschen, griechischen und serbischen Berichterstattung über Jugoslawien nach dem Sturz von Milosevic. (3) Die Untersuchung der Akzeptanz deeskalationsorientierter Berichterstattung und ihrer Auswirkungen auf die mentalen Modelle der Leser. (4) Die Untersuchung der Produktionsbedingungen von Konfliktberichterstattung.
Drei verschiedene methodische Zugänge wurden hierbei gewählt: (1) Quantitative und qualitative Inhaltsanalysen von Zeitungstexten. (2) Die experimentelle Untersuchung der Akzeptanz deeskalationsorientierter Berichterstattung und ihrer kognitiven Verarbeitung durch die Leser. (3) Interviews mit Konfliktberichterstattern und Auslandskorrespondenten über ihre Einschätzung der Produktionsbedingungen von Nachrichten.
Die Ergebnisse des Projektes werfen ein hoffnungsvolles Bild auf die Möglichkeiten des Einsatzes der Nachrichtenmedien als Ressource des Konfliktabbaus und der Versöhnung in Nachkriegsgesellschaften: Sowohl Journalisten als auch ihr Publikum sind flexibler und kompetenter, als häufig angenommen wird. Weder sind Journalisten notwendig darauf fixiert, Schwarz-Weiß-Malerei zu produzieren, noch ist das Publikum darauf fixiert, sich mit Polarisierung und Gewalt abspeisen zu lassen.
Obwohl sich im Nachkriegsdiskurs über Jugoslawien in allen drei untersuchten Ländern deutliche Nachwirkungen des Kriegsdiskurses ausmachen ließen, waren die Nachkriegsdiskurse insgesamt wesentlich offener, vielseitiger und relativ deeskalationsorientiert. In allen drei Ländern konnten darüber hinaus kreative Ansätze zum Abbau lange perpetuierter Feindbilder sowie Impulse für eine konstruktive Transformation des Diskurses nachgewiesen werden.
Entsprechende Ansätze finden sich auch in der deutschen Nachkriegsberichterstattung über Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch hinsichtlich der Themenauswahl zeigten die Journalisten jener Zeit eine flexible Kreativität, die dem Aussöhnungsprozess zuträglich war. Darüber hinaus - und im Unterschied zum Jugoslawien-Diskurs - hat die spezifische Situation des besiegten Deutschlands mögliche Nachwirkungen der Kriegspropaganda hier weitestgehend abgeschnitten.
Um die Nachrichtenmedien als Mediatoren von Demokratisierung, Peace Building und Versöhnung wirksam werden zu lassen, wäre es wünschenswert, solche positive Beispiele konstruktiver Nachkriegsberichterstattung in die Journalistenausbildung einzubringen und die Konfliktkompetenz von Journalisten systematisch weiterzuentwickeln.
Erfolg versprechend erscheint ein solcher Ansatz auch deshalb, weil deeskalationsorientierte Berichterstattung von den Rezipienten - wider Erwarten - als mindestens genau so interessant und akzeptabel empfunden wird wie herkömmlicher Konfliktjournalismus. Die Konstruktion von Antagonismen zur Steigerung des Nachrichtenwertes ist nicht nötig und wird von den Rezipienten teilweise sogar zurückgewiesen. Was sie wollen, ist eine korrekte, sachgemäße und allseitige Berichterstattung, durch welche ebenso gut ein Interesse an weiteren Informationen und damit eine Bindung an das Medium geweckt werden kann, wie durch Polarisierung der Konfliktparteien.
Allerdings ist hierfür eine behutsame Vorgehensweise vonnöten, da neue und unerwartete Information tendenziell Zweifel an der Korrektheit der Darstellung induzieren kann.
Wenn die gebotene Behutsamkeit gegeben ist und die Texte von den Rezipienten akzeptiert werden, dann hat deeskalationsorientierte Framing der Konfliktberichterstattung einen nachweislichen Effekt. Die Wahrnehmung der berichteten Ereignisse, der Konfliktparteien und ihres Konfliktverhaltens wird nicht einfach unter die gängigen Interpretationsmuster subsumiert, sondern differenziert sich in Abhängigkeit von den berichteten Fakten und deren Framing. Auf lange Sicht ist darüber auch ein sukzessiver Abbau verbreiteter Vorurteile, Stereotype und konfliktrelevanter Grundüberzeugungen zu erwarten.
Darüber hinaus machen Interviews mit Auslandskorrespondenten deutlich, dass der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung als komplexe Interaktion vieler Faktoren verstanden werden muss, die konstruktiver Berichterstattung teilweise erschwerend im Wege stehen. Die Entwicklung eines Modells dieser Einflussfaktoren auf Konfliktberichterstattung ist ein wichtiger Schritt, realisierbare Vorschläge abzuleiten, wie mit den Hindernissen umgegangen werden kann, denen Journalisten bei der Umsetzung konstruktiver Konfliktberichterstattung in ihrer täglichen Arbeit ausgesetzt sind.

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